Freier Zugang zu allen Forschungsergebnissen?

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Open Access – ein Widerspruch zu alten Traditionen der Wissenschaft?

Ein Dialog über Wissenschaft zwischen open access und kommerzieller Rechteverwertung mit Lena van Beek, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Hamburg

 

Andreas Schiel Frau van Beek, vielen Dank, dass Sie für diesen Dialog zur Verfügung stehen! Auf Sie und Ihre Positionen aufmerksam geworden bin ich durch eine Diskussion im Deutschlandfunk, in der Sie in einem Streit zwischen Fachverlagen und WissenschaftlerInnen Partei ergriffen haben. Können Sie zu Beginn vielleicht noch einmal kurz darlegen, zu welchen, ich sage mal, eigenwilligen Bedingungen heutzutage Forschungsergebnisse ihren Weg in die Öffentlichkeit finden, wer üblicherweise die Rechte daran hat und wer daran verdient?

 

Lena van Beek Als Wissenschaftler ist man darauf angewiesen, möglichst viel zu publizieren, um für die Fachwelt sichtbar zu sein. Man schreibt also Aufsätze und Monographien. Das Urheberrecht liegt zunächst beim Autor. Als Autor oder Herausgeber muss man teilweise viel Geld zahlen, um eine Printpublikation in einem renommierten Fachverlag veröffentlichen zu können. Oft beschränkt sich die Aufgabe der Verlage dann jedoch lediglich auf den Satz, manchmal noch die Korrektur, selten erfolgt ein professionelles Lektorat.

Die Redaktion der Inhalte besorgen zumeist die Wissenschaftler selbst. Für von Wissenschaftlern produzierte Inhalte bezahlt man also paradoxerweise den Verlag. Oft werden diese Kosten durch öffentliche Stiftungen bezuschusst. Die Universitätsbibliotheken kaufen das mit öffentlichen Mitteln produzierte Produkt dann wieder mit öffentlichen Mitteln ein. Die Verlage verdienen also daran, ohne viel zu leisten. Die Wissenschaftler selbst verdienen kein Geld mit dieser Publikation.

 

Andreas Schiel Ich fasse diese für Außenstehende wahrscheinlich etwas merkwürdige Praxis nochmals zusammen: Sie als Wissenschaftlerin schreiben auf der Grundlage Ihrer Forschungen einen Text. Damit der von einem Verlag veröffentlicht wird, zahlen Sie dem Geld. Der druckt dann Ihren Text, den Sie aber vorher selbst lektoriert und redigiert haben und verkauft ihn in Form einer Zeitschrift oder eines Buchs an Ihre Unibibliothek. Sie haben Zeit in einen Text und womöglich viel Geld in dessen Veröffentlichung investiert. Ihre Uni hat Ihnen in der Zeit immerhin (hoffentlich!) Gehalt gezahlt, aber jetzt muss sie noch ein zweites Mal für Ihre Forschung zahlen. Aber keine Prämie an Sie, weil Sie es zu einer schönen Veröffentlichung gebracht haben, sondern an den Verlag, der nichts weiter tut, als Bücher und Zeitschriften zu drucken und zu verschicken.

Ein wenig kenne ich, da ich promoviert habe, diese Gepflogenheiten ja auch. Aber wir leben jetzt schon geraume Zeit im 21. Jahrhundert. Es gibt Print-on-Demand. Es gibt Wikipedia. Es gibt Vorlesungen amerikanischer Elite-Universitäten, die man umsonst mitverfolgen kann. Und Sie, oder jedenfalls KollegInnen von Ihnen bezahlen da noch Verlage, damit die das von Ihnen erarbeitete Wissen für teures Geld verhökern können?

 

Lena van Beek Ja, diese Praxis ist nicht mehr zeitgemäß. Ich sehe ein, dass für Drucklegung und evtl. ein gründliches Lektorat Kosten entstehen, dafür wäre ich auch bereit, etwas zu zahlen bzw. Förderung zu beantragen. Aber da man in der Regel keinen Mehrwert hat, sehe ich nicht ein, warum man diesen Umweg gehen muss, wenn es auch andere Wege gibt, das Wissen zu verbreiten.

 

Wer bürgt für Qualität von Wissenschaft im digitalen Zeitalter?

Andreas Schiel Und jetzt wird es spannend. Erklären Sie doch mal, wie man ohne die wissenschaftlichen Fachverlage das, was wir von ihnen erwarten – nämlich eine überzeugende Qualitätskontrolle und darauf beruhende Auslese wirklich guter Forschung – realisieren kann!

 

Lena van Beek Die Qualitätssicherung erfolgt durch die Wissenschaftler, die als Herausgeber oder Gutachter bei Zeitschriften oder anderen Publikationen fungieren. Ein eingereichter Artikel kann zum Beispiel ein sog. peer review durchlaufen, bevor oder auch nachdem er publiziert wird. Bei Open Access-Projekten wie z.B. der Zeitschrift für Digitale Geisteswissenschaften  erfolgen also genau dieselben Mechanismen der Qualitätskontrolle wie bei etablierten älteren Fachzeitschriften, mit dem Unterschied, dass die Inhalte frei zugänglich sind.

 

Andreas Schiel Das klingt sympathisch, finde ich. Allerdings fällt mir da gleich die ganz ähnliche Diskussion über die Veränderung der Medienlandschaft ein. Die etablierten Medien sagen ja: Nachrichten und Kommentare, die auf irgendeinem Blog oder in sozialen Netzwerken veröffentlicht werden, unterliegen nicht denselben, strengen Qualitätskriterien wie unsere Inhalte. Und natürlich könnte man jetzt entsprechend fragen: Sind diejenigen, die da ein peer review durchführen, also als Wissenschaftler die Forschung anderer Wissenschaftler bewerten und zur Veröffentlichung auswählen oder ablehnen genauso gut und qualifiziert, wie diejenigen, die das für einen etablierten Verlag tun? Zum Beispiel könnte ich mir ja vorstellen: Für den Verlag sind hauptsächlich ProfessorInnen tätig, bei Open-Access-Projekten eher junge, angehende WissenschaftlerInnen. Was sagen Sie zu solche einer Kritik?

 

Lena van Beek Alter und eine Berufung machen auch nicht schlauer. Wir sind alle mit den gleichen Ausbildungsbedingungen gestartet, die Professoren sind lediglich länger dabei und haben sich ihren Status über einen langen Zeitraum erkämpft und genießen daher ein gewisses Ansehen. Ich würde angehende Wissenschaftler nicht als Bezeichnung verwenden, denn dann würde man dem gesamten akademischen Mittelbau seine Qualifikation absprechen. Die Anerkennungskultur für Forschung im Mittelbau ist weiterhin zu überdenken. “Professur oder nichts” ist kein tragfähiges Motto, das Wissenschaftler motiviert, in prekären Verhältnissen zu forschen.

Viele jüngere Wissenschaftler zwischen 30 und 40, die keine Berührungsscheu vor solchen Publikationen haben, sind aber noch nicht im Alter 50+ angelangt und haben diesen Weg zur Professur noch vor sich. Aber der Status ändert nichts daran, ob man sich als Spezialist in seinem Fachgebiet gut auskennt oder nicht. In den nächsten Jahren wird diese Generation, die aktuell eher im Mittelbau beschäftigt ist, dann (zumindest teilweise) ein Status-Upgrade erhalten. Es ist also eine Zeit- und keine Qualitätsfrage. Die Reviewer sind genauso fähig, nur spielen sie das akademische Anerkennungsspiel noch nicht so lange wie die ältere Generation.

 

Andreas Schiel Ich kenne diese Verhältnisse noch gut aus meiner eigenen Zeit an der Uni – und kann Ihren Argumenten viel abgewinnen. Das ist aber natürlich eine Debatte, die jetzt (u.a. durch die Digitalisierung) in vielen Bereichen der Gesellschaft an Fahrt gewinnt und erst einmal ausgefochten werden muss: Es stellt sich ja ganz radikal die Frage, ob die Maßstäbe, die wir bisher angewendet haben, um Menschen Können und Kompetenz zuzurechnen oder abzusprechen noch angemessen sind. Als Blogger bin ich auch geneigt zu sagen: Viele, die unbezahlt und mit ideeller Motivation im Internet publizieren, sind besser als mancher bezahlter Redakteur eines großen Medienkonzerns.

Aber wonach entscheiden Sie persönlich denn, was gut ist, wem Sie vertrauen? Oder umgekehrt gefragt: Gibt es auch Forschung aus Open-Access-Projekten, der Sie nicht vertrauen? Und wenn ja, warum?

 

Lena van Beek In der Regel erkennt man bei der Lektüre, wieviel Sorgfalt in einen Beitrag eingeflossen ist – oder auch nicht. Bis jetzt ist mir allerdings noch kein konkretes Projekt untergekommen, dem ich misstraue. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass es in meinem Fachbereich noch nicht so viele Projekte gibt und dass diese sehr daran interessiert sind, ihre Standards zu etablieren. Vertrauen gewinnt ein Wissenschaftler dadurch, indem er hochwertige Forschung produziert; wenn eine bestimmte Person sich bereits verdient gemacht hat, vertraut man auch auf die Qualität des Beitrags. Labeling gibt es dann also auch wieder, es verschiebt sich nur.

 

Egalisierung von Wissen und Wissenschaft durch open access?

Andreas Schiel Glauben Sie denn, dass man so tatsächlich zu einer Art neuen Gerechtigkeit in der Verteilung von Aufmerksamkeit und der Bewertung von wissenschaftlichen Erzeugnissen kommt? Erst einmal muss ich zwar auch sagen, dass in meiner Zeit an der Uni immer das Gefühl überwog: Kompetenz wird dem zugeschrieben, der lange dabei und gut vernetzt ist. Die Qualität der Forschung und vor allem auch ihr Neuigkeitswert erschienen da sekundär und manchmal sogar bedeutungslos. Aber wird sich das wirklich ändern, wenn womöglich bald alles open access wird? Vielleicht schaffen wir nur ein neues System der Privilegierten, in dessen breiten Randbereichen weiterhin viele großartige Ideen und eigentlich wegweisende Forschung verkümmern, weil es doch wieder vor allem darum geht, die richtigen Leute zu kennen bzw. (im Fall des sogenannten double-blind peer review, bei dem der Autor eines eingereichten Beitrags unbekannt bleibt) die richtige Sprache zu sprechen?

Oder sehen Sie da, etwa durch bestimmte, transparente Online-Bewertungssysteme oder zumindest eine deutlich breitere Basis derjenigen, die Forschung beurteilen, eine substanzielle Besserung am Horizont?

 

Lena van Beek Open Access ist in erster Linie eine Art, zu publizieren, sodass nicht nur finanziell starke Institutionen und Personen berechtigt sind, auf Forschung zugreifen und am Diskurs teilhaben zu können. Das betrifft aber nicht nur die auf dem sog. goldenen Weg entstandenen Inhalte, bei dem zuerst über open Access publiziert werden, sondern auch Forschung, die zuvor bereits in einem Verlag oder einer Zeitschrift erschienen ist (sog. grüner Weg). Es ist also durchaus möglich, beide Strukturen zu bedienen. Einerseits hat man die etablierte Qualitätskontrolle, andererseits stehen die Inhalte dann öffentlich zur Verfügung.

Die Frage, die Sie gerade aufgeworfen haben, betrifft die Inhalte und Bewertung der Forschung also nur auf dem goldenen Weg. Wie die entsprechenden im Entstehen begriffenen Plattformen geführt werden, liegt ganz im Ermessen ihrer Betreuer. Dort können ganz unterschiedliche Konzepte entstehen. Es ist möglich, die Bewertung in einer Blackbox zu halten oder aber einen offenen Reviewprozess zu führen. Ob das dann bei zur Diskussion stehenden Papers Formen annehmen kann wie z.B. Upvotes oder Kommentare – der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Es ist sowohl eine Demokratisierung als auch eine fortbestehende Oligarchie der Bewertung möglich. Welche Strukturen die qualitativ hochwertigsten Inhalte produzieren, wird sich zeigen. Die Kompetenz der Autoren und der Reviewer ist immer das entscheidende Kriterium, egal wie viele Personen daran beteiligt sind.

 

Andreas Schiel Vielen Dank für diese offene und ehrliche Einschätzung! Da sehe ich zumindest das Potenzial einer Egalisierung von Wissen und Wissenschaft, von der am Ende alle profitieren könnten.

Aber genau in dieser Richtung möchte ich Ihnen abschließend noch eine Frage stellen: Glauben Sie, dass generell durch die freiere und umfassendere Verfügbarkeit von Wissen im Internet eine tatsächliche Zeitenwende angebrochen ist? Wird es so etwas wie ‘Herrschaftswissen’ bald gar nicht mehr geben? Können wir beide in Zukunft getrost unsere akademischen Titel ablegen, weil das kein Maßstab mehr sein wird, nach dem über unsere Kompetenz und unsere Vertrauenswürdigkeit entschieden wird? Oder erwarten sie eher eine zarte Evolution statt solch einer Revolution?

 

Lena van Beek Ein völliger Rücktritt des Subjekts ist aus technischen Gründen nicht möglich, da überlasse ich als Literaturwissenschaftler das Feld lieber den Philosophen. Aber Wissenschaft sollte nicht dazu dienen, sich selbst zu profilieren, sondern um zu neuen Erkenntnissen gelangen. Bei Projekten wie Wikipedia beispielsweise spielt der akademische Ruhm des bearbeitenden Individuums keine Rolle mehr, nur die von der Community zu überprüfenden Inhalte. Das ist ein langwieriger Prozess, der auch seine Tücken birgt, und die Qualität der Einträge schwankt bekanntermaßen.

Es wäre allerdings eine interessante Entwicklung, wenn die Anhäufung von individuellem Ruhm nicht mehr so ein zwingendes Kriterium für das finanzielle Auskommen von Akademikern wäre. Es wird oft nicht langfristig gedacht “Was ist gut für die Wissenschaft?” sondern “Was ist gut für mein Profil, damit mich jemand einstellt?”, und dies kann zur Kultivierung einer egoistischen Mentalität im Kampf um sehr wenige Stellen führen. Die Suche nach Wahrheit und Wissen muss im Vordergrund bleiben, und die Finanzierung einer freien Wissenschaft gewährleistet sein.

Zu Ihrer Frage nach (R)Evolution: Es ist generell nicht hilfreich, in solchen Entweder-Oder-Schemata zu denken. Auch wenn sie nicht die Sicht darauf verstellen dürfen, worum es eigentlich geht, sind Titel im Moment als Eintrittstickets in die Diskussion nach wie vor sinnvoll. Genauso wie man einen Führerschein machen sollte, um ein Kraftfahrzeug im Verkehr steuern zu können, sollte man mit wissenschaftlichen Methoden umgehen können, bevor man publiziert. Und je mehr Menschen auf die gewonnenen Informationen zugreifen können und sie auswerten können, desto besser. Auch in Zukunft werden hoffentlich viele Diskussionen darüber geführt werden, wie die Balance zwischen Bildung, Forschung und Finanzierung gehalten werden kann. Ob Vorgehensweisen noch sinnvoll sind wird immer wieder zu hinterfragen sein.

 

Andreas Schiel Zumindest von diesem Dialog, liebe Frau van Beek, trete ich jetzt zurück. Allerdings nicht ohne Ihnen für diesen hochinteressanten Austausch zu danken!

***

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Foto unterliegt der Lizenz CC-BY-2.0

 

Lena van Beek ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik an der Universität Hamburg. Zur Zeit arbeitet sie an ihrer Dissertation über Riesen in der Literatur des Mittelalters.

 

 

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