„Angst macht uns nur, was wir nicht verstehen.“

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Verkörperung von Technikangst: Der Terminator aus dem gleichnamigen Spielfilm. | Foto Stephen Bowler (Lizenz CC BY 2.0)

Ein Dialog über die Risiken moderner Technologien und falsche Auffassungen von der Digitalisierung mit Katja Evertz (Teil 1/2)

Über anstehende Veränderungen kann man sich viele Sorgen machen. Über technologische Revolutionen mit Ansage, wie es Digitalisierung und Industrie 4.0 sind, erst recht. Beim BarcampDüsseldorf habe ich deshalb Anfang Oktober 2016 eine Session zum Thema “Angst und Digitalisierung” angeboten. Und bei dieser Gelegenheit habe ich Katja Evertz kennengelernt, die sich offensichtlich nicht zum ersten Mal mit dieser Problematik beschäftigt hatte. Weil ihre Bemerkungen über digitale Technik und die damit zurecht oder zu unrecht verbundenen Sorgen so spannend waren, habe ich sie zu diesem Dialog eingeladen, um unser Gespräch noch ein wenig fortführen zu können.

Andreas Schiel Liebe Katja, schön, dass Du dabei bist! Als gewesene Referentin des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und nunmehr Mitarbeiterin einer großen PR-Agentur, die offenbar viele Kunden aus dem Bereich Technologie betreut, solltest Du Dich mit einer Sorge gut auskennen: Technik kann ordentlich Angst machen, oder?
Katja Evertz Vielen Dank für die Einladung zu diesem Dialog. Ich bin sehr gespannt.

Angst machen kann uns zunächst einmal alles, vor allem natürlich alles, das wir nicht kennen oder verstehen. Schließlich geht vom Neuen und Unbekannten möglicherweise eine Gefahr aus. Unser Reflex sagt dann: Angriff oder Flucht. Gerade der Fluchtreflex hat lange das Überleben der Menschheit gesichert.

Wenn es um Angst vor der Technik geht, ist diese Angst in meinen Augen aber oft nur vorgeschoben. Ein Feigenblatt, das wir uns vorhalten, um nicht eingestehen zu müssen, dass wir keine Lust haben, uns mit etwas Neuem zu beschäftigen. Denn etwas Neues zu lernen, zwingt uns auch dazu, unser bisheriges Wissen oder Überzeugungen zu hinterfragen. Und das kostet unser Gehirn weit mehr Energie, als bekanntes Wissen einfach nur mit neuen Informationen zu untermauern.

Angst macht uns letztendlich ja aber nur etwas, das wir nicht verstehen. Dieses Verstehen können wir aber lernen – bei Technik genau wie bei allen anderen Dingen.

 

Andreas Schiel Da stimme ich von der Tendenz her zu. Aber ich frage mich schon, ob das mit dem Verstehenlernen in unserer durchtechnologisierten Gesellschaft immer so einfach ist. Natürlich kann ich verstehen, wie eine Software oder ein technisches Gerät richtig zu bedienen ist. Das wird sogar immer einfacher und wird bald wohl keine Frage des Alters oder des persönlichen Talents mehr sein. Ich kann auch, wenn ich mir etwas mehr Zeit nehme, verstehen, wozu eine bestimmte Technologie gewöhnlich eingesetzt wird, welche Vor- und Nachteile sie im Alltag mit sich bringt und ob ich sie demnach benutzen muss bzw. will. Das ist dann wohl tatsächlich eher eine Frage der Zeit und Bereitschaft, die wir dazu mitbringen.

Wenn ich aber verstehen möchte, wie Technik im engeren Sinne funktioniert, dann wird es knifflig. Verstehst Du, soweit dieses Wissen überhaupt zugänglich ist, wie die Algorithmen von Facebook oder Google arbeiten? Weißt Du, welche kritischen Punkte im Kühlkreislauf eines Kernkraftwerks beachtet werden müssen, damit es, wie Loriot mal so schön formulierte, nicht “puff macht”? Weißt du, was ein Magnet-Resonanz-Tomograph abbildet und was nicht? Ich könnte auf all diese Fragen jedenfalls nur sehr allgemein antworten, und es ist meiner Meinung nach eine Illusion, dass man nur kurz auf Wikipedia nachschlagen müsste, um rauszufinden, wie es sich denn wirklich verhält. Denn da haben wir es mit Spezialisten- und Expertenkenntnissen zu tun, die nur dann Sinn ergeben, wenn sie von einem Kontextwissen gerahmt werden, das meist eben nur diese Menschen besitzen.

Und an der Stelle mache ich mir ehrlich gesagt Sorgen, dass ein wirkliches Verstehen von Technik für den Einzelnen in Zukunft nicht leichter, sondern schwieriger wird, während der Einfluss und die Bedeutung von Technik für unser Leben, auch für unser Überleben, immer weiter zunehmen. Das macht mir in der Tat manchmal Angst. Dir nicht?

 

Katja Evertz Nein, die technische Seite macht mir hier weit weniger Angst als die menschliche.

Um zu verstehen, dass es fatal ist, wenn in einem Atomkraftwerk der Kühlkreislauf nicht richtig funktioniert, muss ich kein studierter Ingenieur mit zwanzigjähriger Erfahrung im Anlagenbau sein. Das erschließt sich mir durchaus nach ein paar Jahren Schul-Physik. Und dennoch wurden Atomkraftwerke lange Zeit als saubere Energiequelle gepriesen – was unterstreicht, dass Technik per se nicht der Auslöser von Angst ist.

Die Frage, die sich mir hier stellt, ist zudem: Wann brauchen wir im Alltag denn tatsächlich solche, wie Du sie nennst: Spezialisten- und Expertenkenntnisse? Ich war noch nie in einer Situation, in der eine Entscheidung davon abhing, ob ich erklären kann, wie ein Magnet-Resonanz-Tomograph funktioniert. Dieses Wissen hilft mir auch in aller Regel nicht dabei, die Welt um mich herum besser verstehen zu lernen.

Ich kann mir durchaus Szenarien vorstellen, in denen dieses Wissen für mich relevant oder zumindest interessant ist, aber dann habe ich Dank Internet die Möglichkeit, mir ein Grundverständnis anzueignen. Das mache ich tatsächlich ab und an – z. B. abends beim Fernsehen, wenn mir nicht ganz klar ist, was etwas bedeutet. Was macht eigentlich so ein Majority Whip wie Frank Underwood? – Das haben wir erstmal nachgelesen, als wir die erste Folge von House of Cards geschaut haben. Weil ich dieses Wissen im Alltag aber so selten brauche, verflüchtigt es sich auch schnell wieder.

Wissen und Kenntnisse sind in meinen Augen aber auch etwas anderes als Verstehen – oder anders gesagt: Das, was wir früher gesunden Menschenverstand genannt haben.

Wenn wir von Technologie im Kontext von Digitalisierung sprechen, werfen wir in meinen Augen übrigens zu oft verschiedene Dinge in einen Topf – was es dem gesunden Menschenverstand wiederum schwerer macht.

Es geht nicht nur um Technik, sondern auch um Menschen

Es gibt eine technische Ebene: Wie funktioniert etwas? Zum Beispiel: Wie erkenne ich auf einer Website oder in einer E-Mail zum Beispiel, wohin ein Link wirklich führt? Wie kann ein Gerät wie ein Smartphone meinen Standort erfassen und weitergeben?

Wenn ich ein grundlegendes Verständnis von Programmierung habe, dann kann ich bestimmte Gefahren von vornherein minimieren: Weil ich weiß, wie ein Link funktioniert, kann ich erkennen, ob ein Link auch wirklich auf eine vertrauenswürdige Seite verweist – oder unter Umständen doch gefährlich ist. Dafür muss ich noch lange nicht selbst zum Programmierer werden.

Gerade heute meinen wir mit Technologie oft aber auch Smartphones oder Plattformen wie Facebook, bei denen es nicht nur eine technische Ebene gibt, sondern darüber hinaus eben auch eine menschliche. Das vergessen wir nur zu gerne.

Nehmen wir das Beispiel Algorithmen: So ein Algorithmus existiert nicht aus sich selbst heraus, auch wenn unsere Sprache das oft vermuten lässt. Stattdessen muss ein Algorithmus geschrieben, getestet und weiterentwickelt werden. Die Programmierung basiert auf einer zuvor entwickelten Sprache. Und jede Entscheidung in diesem Prozess wurde von einem Menschen getroffen.

Wenn ich als Internetnutzer nun weiß, dass es a) Algorithmen gibt und b) zum Beispiel Facebook oder Google solche Algorithmen einsetzen, um Inhalte zu gewichten, so dass ich sehe, wovon der Algorithmus meint, dass es mich am meisten interessiert – brauche ich wirklich ein tiefergehendes Verständnis von Algorithmen, um erkennen zu können, dass die Inhalte, die ich auf diesem Wege erhalte, gefiltert und damit nur ein Ausschnitt der Realität sind? Reicht da nicht eigentlich das Grundverständnis von Algorithmen – und ein bisschen gesunder Menschenverstand?

Ich bin den Algorithmen eben auch als Nutzer nicht hoffnungslos ausgeliefert, denn der Algorithmus hält mich nicht davon ab, Informationen auch aus anderen Quellen zu beziehen. Facebook, Google und Co. hindern mich ja nicht daran, mir eine Liste an Blogs oder Zeitschriften zu suchen, die ich regelmäßig lese.

Und ich glaube, an diesem Punkt haben wir versagt: Die Experten genauso wie die Übersetzer, die dieses Expertenwissen für alle verständlich aufbereiten.

Technikwissen muss von Nicht-Experten vermittelt werden.

Wissen und Fakten in einen Kontext zu setzen, ist in meinen Augen eben gerade nicht nur Aufgabe der Experten selbst. Ganz im Gegenteil. Ein Experte für Cybersicherheit betrachtet ja eben nur einen Ausschnitt der Realität und ist damit eben gar nicht in der Lage, Kontext ausreichend mitzubetrachten. Hinzu kommt, dass es in der Wissenschaft gute Gründe für sehr präzise, aber allgemein leider unverständliche Begriffe gibt. Wenn es Wissenschaftlern gelingt, ihre Erkenntnisse dennoch allgemein verständlich zu verpacken – großartig! Aber jemand kann ein hervorragender Wissenschaftler oder Entwickler sein, ohne gleichzeitig auch ein guter Kommunikator sein zu müssen.

Um Wissen zu vermitteln, zu erklären und auch in einen größeren Kontext (über die eigene Disziplin hinaus) einzubetten, auch dafür gibt es Spezialisten: Lehrer, Journalisten, Berater, auch Blogger.

Egal ob aus Angst oder Eitelkeit, wir (die wir den digitalen Raum als Chance begriffen haben) haben es aber letztlich auch nicht geschafft, bestimmte Themen auf die Agenda zu setzen. Ich erinnere mich mit Grauen an die Schlagzeilen von aus dem Ruder geratenen Facebook-Partys oder Shitstorms – und wer nur die Tageszeitung liest, bekommt es da natürlich mit der Angst zu tun. Auf der einen Seite war die Betrachtung meiner Meinung nach viel zu lange viel zu einseitig: Panikmache. Auf der anderen Seite haben wir dies aber immer nur belächelt: „Ach, da hat wieder jemand das Internet nicht verstanden.“

Erklärt haben wir es dann aber auch niemandem, sondern beim nächsten Mal einfach wieder mit den Augen gerollt oder ein lustiges Mem geteilt.

Technik und Digitalisierung machen mir deshalb viel weniger Sorgen als Organisationsstrukturen (die nie jemand hinterfragt) und überhaupt das menschliche Miteinander (über das wir auch viel zu selten nachdenken). Es ist eben auch viel schwieriger, auf Ängste und Sorgen einzugehen und zu erklären, wie man ihnen begegnen kann, als mit einem ironischen #facepalm zu reagieren.

[Im zweiten Teil dieses Dialogs beantwortet Katja Evertz u.a. kritische Fragen zu Hochrisikotechnologien und betont die wichtige Rolles des Menschen in der Digitalisierung.]

***

katja_evertzKatja Evertz arbeitet als Digital Strategist bei FleishmanHillard. Nach Stationen im Agenturbereich und an der Universität St.Gallen trieb sie bis März 2016 das Thema Social Media im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe voran. Sie beschäftigt sich seit Jahren auch mit den Themen Social Media Monitoring und Analytics. Sie twittert unter @katjazwitschert.
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